Medizinproduktezulassung – Großbritannien geht einen eigenen Weg

Großbritannien hat angekündigt, sich nach dem Brexit von einer europäischen CE-Zertifizierung zu verabschieden und ein eigenes Verfahren für die Zertifizierung von Medizinprodukten einzuführen.

von Tobias Klingenfuss

Aufgrund der aktuellen COVID-19-Krise gewährt die EU Medizinprodukteherstellern bei der Anpassung an die MDR eine Verschnaufpause bis zum 26. Mai 2021 (MDR) bzw. 26. Mai 2022 (IVDR) und eine Übergangsfrist von MDD Risiko-Klasse-I-Produkten bis 2024. Doch eine neue Herausforderung für die Inverkehrbringung wartet bereits: Das Vereinigte Königreich (UK), dazu zählt Großbritannien, Wales und Schottland, wird mit dem Brexit ein eigenes Verfahren zur Zulassung von Medizinprodukten und IVDRs einführen. Dies soll am 1. Januar 2021 in Kraft treten und dürfte die Hersteller und Distributoren von Produkten in England vor ernsthafte Komplikationen stellen. Immerhin wird eine Übergangsfrist für CE-gekennzeichnete Produkte bis zum 30. Juni 2023 gewährt.

Was ist neu? – Regeln für Januar 2021

Wie das neue Verfahren aussehen wird und welche neuen Anforderungen auf die Hersteller zukommen, ist bis jetzt unklar. Wird die "new route to market", wie es die britische Regierung nennt, vom bisherigen Verfahren der Konformitätsbewertung in der EU abweichen? Die Zulassung von Medizinprodukten und IVDRs bei der Medicines and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA) vor Inverkehrbringung scheint ein Indiz, dass sich die britische Regierung an der Philosophie und der Herangehensweise der FDA (US) orientieren könnte. Dabei soll das neue Regelwerk den Schutz von Patienten noch stärker hervorheben, wobei bereits bestehende Standards – und damit dürfte u.a. die ISO 14971 gemeint sein – berücksichtigt werden sollen.

Der MHRA soll dabei eine ähnliche Rolle wie der FDA in den USA zufallen. Neben der Zulassung wird diese Behörde für die Überwachung der Einhaltung verantwortlich sein. Auf der Grundlage der "Enforcement Power", der Ermächtigung zur Durchsetzung oder Vollstreckungsgewalt, kann die MHRA Hersteller sanktionieren sowie die Inverkehrbringung und Betreibung im Markt untersagen – und sogar Gefängnisstrafen erwirken.

Was bleibt vermutlich gleich?

Nicht wirklich neu wird die Rolle einer dedizierten verantwortlichen Person sein, die für eine Zulassung in Großbritannien notwendig ist. Es ist kaum davon auszugehen, dass sich die Anforderungen wesentlich von denen an die “Qualified Person” (MDR Artikel 15) oder den Verantwortlichen Repräsentanten (MDR Artikel 11) unterscheiden. Meldungen von Vorkommnissen bezogen auf das Medizinprodukt oder das IVDR erfolgen ebenfalls beim MHRA. Was den Beleg der Konformität betrifft, so beruft sich die Ankündigung der britischen Regierung auf die technische Dokumentation. Hier wäre es nur zu wünschen, dass die bereits bewährten Formen der technischen Dokumentation, der QM-Akte und der drei Ds der FDA (Device Master Record (DMR), Device History Record (DHR) und Device History File (DHF)) übernommen werden. Bei abweichender Meinung zwischen Hersteller und MHRA bezogen auf die Konformität des Produkts kann dieser mit Hilfe einer benannten Stelle seinen Standpunkt begründen und ggf. eine Zulassung erwirken. Vergleichbar zur EU und der FDA werden ebenfalls Aktivitäten in der nachgelagerten Phase (Marktphase) für die Gewährleistung der Konformität, Sicherheit und Leistungsfähigkeit des Produkts erwartet.

Es wird spannend, inwieweit bis zum 1.  Januar 2021 die Anforderungen für eine Inverkehrbringung in Großbritannien ausgearbeitet und veröffentlicht sein werden. Danach gilt es die große Herausforderung zu schultern, im englischen Markt befindliche Medizinprodukte und IVDRs innerhalb der Übergangsfrist so umzugestalten, dass sie den Anforderungen gerecht werden. Was das für das Risikomanagement, die klinische Bewertung oder auch den Datenschutz und die IT-Sicherheit bedeutet, ist derzeit noch nicht absehbar. Wird das vielleicht Auswirkungen auf das Design des Produkts selbst haben und wird man dies im schlimmsten Fall vom britischen Markt nehmen müssen? Ein weiterer Schrecken, der aus dem Brexit erwächst.

Ihr Kontakt

Sie haben Fragen rund um die regulatorischen Entwicklungen bezüglich der MDR oder konkret zum Zulassungsverfahren? Ich berate Sie gerne:

Tobias Klingenfuss, Senior Consultant Medical & Regulatory
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