M&R News die Erste: Aktuelle regulatorische Entwicklungen rund um die MDR

Bringt der neu veröffentlichte Leitfaden zur Qualifizierung und Klassifizierung von Medizinprodukten der Europäischen Kommission mehr Klarheit? Am 11. Oktober 2019 hat die Europäische Kommission den Nachfolger des Leitfadens MEDDEV 2.1/6. (2016) zur Qualifizierung und Klassifizierung von Medizinprodukten veröffentlicht.

von Tobias Klingenfuss

Die Ankündigung gab Grund zu hoffen, dass damit die Verunsicherung bezüglich der Klassifizierungsregel 11 der MDR beseitigt wird. Diese ist der Grund, warum eine Software als Medizinprodukt mindestens der Risikoklasse IIa zuzuordnen ist. Ab dieser Risikoklasse muss der Hersteller nämlich einen beträchtlichen Mehraufwand leisten, um mit den Anforderungen der MDR konform zu sein. Dazu gehört die Etablierung, Aufrechterhaltung und Wartung eines zertifizierten Qualtätsmanagementsystems (QMS), die Qualitätssicherung der verwendeten Werkzeuge und Besetzung der notwendiger Rollen mit den entsprechend qualifizierte Personen. Wir sprechen von Aufwänden, die neben den Kosten für das QMS und die Qualifizierung der Mitarbeiter mindestens ein Jahr für die Implementierung in Anspruch nehmen und Resourcen in größerem Umfang binden werden.

Dank der Regel 11 der MDR erscheint es unmöglich, dass ein Produkt der Risikoklasse I zugeordnet wird. Mehr noch, Produkte die gemäß der MDD noch als Risikoklasse I im Markt sind, werden mit größter Wahrscheinlichkeit ab dem ausnahmslosen Inkrafttreten der MDR am 26. Mai 2020 mindestens eine Risikoklasse aufsteigen. Vielleicht verlängert sich diese Frist für Produkte der Risikoklasse I auf das Jahr 2024. Derzeit wird auf europäischer Ebene über die Verlängerung diskutiert. Auf jeden Fall führt die höhere Klassifizierung zu einem beträchtlichen Mehraufwand, wodurch ein bisher gut funktionierendes Geschäftsmodell unrentabel werden kann und damit scheitert.

Doch leider gibt der Leitfaden in dieser Hinsicht keine Entwarnung. Es bleibt alles wie gehabt. Statt dessen werden die Kassifizierungsregeln nochmals erläutert, obwohl sie schon in der MDR gut verständlich geschrieben sind. Die Beispiele der Klassifizierung von Produkten sind für den regulatorisch unbelasteten Leser hingegen hilfreich. Die Autoren der Medical Device Medical Device Coordination Group (MDCG) haben erkannt, dass die Regel 11 nur schwer anzuwenden ist und haben deswegen den Vorschlag des International Medical Device Regulators Forum (IMDRF) für die Klassifizierung von Medizinprodukten eingeführt. Im Annex III des Leitfadens findet sich die Bestimmungstabelle der IMDRF, anhand derer die Klassifizierung von Produkten leichter und nachvollziehbarer wird. Neben der Kritikalität des Produkts, die schon Bestandteil der Regel 11 ist, wird die Auswirkung auf die diagnostische und therapeutische Entscheidung mit einbezogen. Auch hierzu liefert der Leitfaden eine ganze Reihe von hilfreichen Anwendungsbeispielen.

Im Absatz 7 bestätigten die Autoren des Leitfadens erneut das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 7. Dezember 2017. Darin erklärte der EuGH, dass es zulässig ist innerhalb eines Produkts einzelne Module, die der Definition eines Medizinprodukts entsprechen, mit einer CE-Kennzeichnung zu versehen. Dadurch sind Produkte möglich, in denen einzelne Module einem Medizinprodukt entsprechen und MDR-konform entwickelt werden müssen und andere nicht. Es ist also nicht mehr notwendig ein Produkt als ganzes als Medizinprodukt zu entwickeln. Voraussetzung ist, dass die Module von einander ausreichend abgetrennt (segregiert) sein müssen.

Eine wirkliche Hilfe scheint der Leitfaden nicht zu sein, da er in weiten Teilen lediglich wiederholt was bereits klar verständlich in unserem nationalen Medizinproduktegesetzt bzw. dem in 2020 ablösenden Medizinproduktedurchführunggesetz und in der MDR steht. Für den bisher regulatorisch unbelasteten Leser mag er für das Grundverständnis hilfreich sein. Doch auch mit der Klassifizierungshilfe des IMDRF ist das Regel-11-Problem nicht gelöst und eine wirklich klare Zuweisung der Risikoklasse nicht möglich. Das geht noch besser! Immerhin kann davon ausgegangen werden, dass die Gerichte, die Behörden und die benannten Stellen den neuen Leitfaden als verbindlich anerkennen werden."

Quellen

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E-Mail: tobias.klingenfuss(at)twt-dh(dot)de