Was bedeutet die digitale Transformation für die Pharma- und Healthcare-Kommunikation?

Klaus Mueller im Interview mit "Pharma Relations"

Michael Grüterich von Michael Grüterich

Für die neueste Ausgabe (01-02/2018) der Pharma-Relations hat die Fachzeitschrift mit Branchenexperten über das Thema "Digitale Transformation im Pharma- und Healthcaremarkt" gesprochen. Das Interview mit <link news autoren klaus-mueller>TWT Digital Health-Geschäftsführer Klaus Mueller finden Sie hier.

Pharma Relations:
Auch wenn die Chemie- & Pharmabranche im "Wirtschaftsindex DIGITAL 2017" des Bundeswirtschaftsministeriums nur einen Platz im Mittelfeld belegt, ist Digitalisierung für Pharma kein Fremdwort mehr. Welche Rolle spielt die Kommunikation im digitalen Transformationsprozess der Unternehmen?

Klaus Mueller:
So schlecht ist ein Platz im Mittelfeld doch gar nicht (lacht). Allen Ernstes: Pharma ist tatsächlich weiter als viele denken. Neben dem BMWi hat sich auch McKinsey jüngst des Themas angenommen. Und da landete der Healthcare-/Pharma-Bereich (7) hinter Media (10), Retail (9) und High-tech (8) auf Platz 4. Noch vor Branchen wie Reisen (6), Telekom (5) und Finanzen (4). Und dabei steht die Kommunikation im Fokus. Egal ob es um Patientendaten, die Weiterentwicklung der Forschung oder Finanzdaten geht: Pharmafirmen müssen immer kommunizieren – und das tun sie zunehmend digital.

Pharma Relations:
In welcher Form verändert sich die Rolle der Pharma-Kommunikation im Zuge der Digitalisierung – intern wie extern?

Klaus Mueller:
Die Kommunikation wird individuell. Heute ist es doch vielerorts noch so, dass Kommunikation möglichst viele erreichen muss. Es gibt DIE Website, DEN Patientenflyer, DIE Arztbroschüre und DAS E-Detailing für den Außendienst. Diese Gruppen sind aber keinesfalls homogen. Schon beim Außendienst macht es einen großen Unterschied, ob ich die Key-Accounter erreichen bzw. die Meinungsbildner betreuen will. Oder doch die deutlich größere Gruppe der Reps, die Praxen besuchen. Bei Ärzten und vor allem bei Patienten sind die Unterschiede noch wesentlich größer.

Big-Data-Anwendungen sorgen dafür, dass ich im Prinzip sehr viele Informationsfragmente habe, die ich auch speziellen Untergruppen zuordnen kann. Das so zu realisieren, dass es den Kunden nutzt, Vorteile für das Unternehmen bringt und gleichzeitig den hohen Datenschutz- und Sicherheitsanforderungen entspricht, ist die Kunst der digitalen Kommunikation. Hinzu kommt, dass viele Projekte von den Konzernen inzwischen international gesteuert werden. Das erhöht die Komplexität noch weiter.

Pharma Relations:
Welche Instrumente bzw. Strategien werden hier derzeit vornehmlich eingesetzt und versprechen den größten Erfolg?

Klaus Mueller:
Ein wichtiger Trend heißt hier Marketing-Automation oder Multi-Channel-Marketing. Von dieser Individualisierung der Kundenbeziehung kann jede Firma profitieren und zwar auf allen Ebenen. Nehmen wir die Fachkommunikation: Der gleiche Arzt hat vielleicht mit der MedWiss im Rahmen einer Anwendungsbeobachtung zu tun, hält für das Marketing ab und an Vorträge und wird regelmäßig vom Außendienst besucht. Durch diese vielen möglichen Anknüpfungspunkte muss jeder Kunde individuell angesprochen werden. Im Patientenbereich sind Patient-Engagement-Programme für Pharmafirmen eine große Chance, das eigene Profil zu schärfen und die Kommunikation mit Patienten, Ärzten und Kassen zu intensivieren.

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Pharma Relations:
Und inwieweit verändert sich Pharma-Kommunikation selbst durch die Digitalisierung?

Klaus Mueller:
Auch 2018 findet Pharma-Kommunikation noch vor allem zwischen physisch anwesenden Gesprächspartnern in Echtzeit statt. Das wird sich mehr und mehr ändern – und zwar auf allen Ebenen. Ärzte erwarten personalisierte Informationen entsprechend ihrer Interessen von den Pharmafirmen, Patienten für sie relevante Informationen von Ärzten und Medikamenten- oder Medizintechnik-Herstellern. Und dabei gibt es keine Karenzen – weder zeitlich noch räumlich.

Das ist prinzipiell nicht neu. Schon Fax, E-Mail und das Internet haben eine Entwicklung in diese Richtung losgetreten. Aber Smartphones, die mit Fitbits und allen anderen Arten von Sensoren reden, werden diesen Prozess in den nächsten Jahren noch deutlich beschleunigen. Das Selbst-Tracking der "Gesundheitskonsumenten" vom gesunden 20-Jährigen bis zum multimorbiden Senior wird zunehmend auf solche digitalen Hilfsmittel bauen und das wird auch die Kommunikation weiter verändern.
Der "Verbraucher" wünscht sich, dass Experten ihn bei der Interpretation der gewonnenen Daten unterstützen. Viel wird dabei zukünftig durch eine Kombination von Chatbots für die einfachen und wiederkehrenden Fragen sowie menschlichen Experten für komplexe Fragen erledigt werden.

Pharma Relations:
Ist die Kommunikation in der Lage, die Digitalisierung der Branche ihrerseits nach vorne zu bringen?

Klaus Mueller:
Das ist gar nicht nötig. Wie eingangs schon erwähnt, ist dieser Prozess schon recht weit fortgeschritten. Dabei wurden wie so oft die kurzfristigen Veränderungen zunächst einmal überschätzt. Deshalb denken heute viele "da tut sich ja doch nichts" – was überhaupt nicht stimmt. Die langfristigen Veränderungen wurden aber genauso deutlich unterschätzt. Viele Anbieter sind bereits mitten in diesem Prozess unterwegs. Zur Zeit sind wir an einem Projekt beteiligt, bei dem der Patient vom Zeitpunkt der Terminierung einer Operation im Krankenhaus bis zur Nachsorge nach dem Klinikaufenthalt begleitet wird, unterstützt von einem Chatbot, der durch KI-Mechanismen die gewonnenen Daten nutzt. So wird ein großer Teil der Kommunikation zukünftig aussehen. An solchen Projekten arbeiten wir aktuell.

Pharma Relations:
Ihr Tipp für Unternehmen: Nach welchen Regeln funktioniert Pharma-Kommunikation in einer digital vernetzten Welt?

Klaus Mueller:
Natürlich liegt es im ureigensten Interesse jedes Herstellers, die Wirkung der eigenen Produkte bei den unterschiedlichsten Patientengruppen eingehend zu untersuchen und zu dokumentieren, auch lange nach der Markteinführung. Die klinischen Daten zu einem Präparat und ihre Verknüpfung mit pathologischen Parametern und patientenspezifischen Modellen sind das intellektuelle Stammkapital eines Unternehmens. Um dieses Kapital zu mehren, braucht es eine klare Strategie, wie interne und externe Daten verknüpft werden können.

Das löst viele historische Grenzen auf: extern die Grenze zwischen Fach- und Patientenkommunikation, intern die zwischen Forschung und Entwicklung auf der einen sowie Marketing und Vertrieb auf der anderen Seite. Das erfordert von den Unternehmen die Bereitschaft, neue Produkte konsequent digital zu denken. Bei einem neuen Präparat kann es nicht nur darum gehen, die geeigneten Patienten zu selektieren und Verordnungszahlen nach oben zu bringen. Von Anfang an ist zu überlegen, mit welchen digitalen Tools die Adhärenz verbessert werden kann. Wer das bei der Produktentwicklung verpasst hat, sollte es schleunigst nachholen.

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