Der Brexit und die Usability – Immerhin ein Standard scheint sicher

Für Medizinprodukte werden sich mit dem Brexit Änderungen im Zugang zum britischen Markt ergeben. Welche Anforderungen sich von den europäischen Anforderungen unterscheiden werden, welche nicht und welche Stellen involviert werden müssen, erfahren Sie hier.

von Tobias Klingenfuss

Als eine grundlegende Auswirkung des Brexits muss man (Stand heute) davon ausgehen, dass Großbritannien und die Europäische Union nicht an einer Regulierung von Medizinprodukten innerhalb eines gemeinsamen EU-Rechtsrahmens festhalten werden. Das bedeutet im Klartext, dass die Regulierungsbehörde für Arzneimittel und Gesundheitsprodukte (Medicines and Healthcare products Regulatory Agency, kurz MHRA) ab dem 1. Januar 2021 als eigenständige Regulierungsbehörde die Verantwortung für den britischen Markt für Medizinprodukte übernehmen wird. Aktuell wird noch die europäische Gesetzgebung angewendet und es ist eine Übergangszeit bis Juni 2023 vorgesehen.

Einschub: Für Nordirland gelten nach Ablauf der Übergangszeit andere Regeln für die Inverkehrbringung von Medizinprodukten als in Großbritannien. So wird die europäische Gesetzgebung (MDR und IVDR) in Nordirland weiterhin gelten. Dadurch bleibt die CE-Kennzeichnung erhalten. Darüber hinaus wird die UKCA-Kennzeichnung erforderlich, um Medizinprodukte in Großbritannien in Verkehr zu bringen.

Zunächst schafft man im Vereinigten Königreich neue Konformitätsbewertungsstellen, die Conformity Assessment Bodies (kurz CAB), welche vergleichbar mit den benannten Stellen die Konformitätsbewertung der Hersteller prüfen. Ab dem 1. Januar 2021 können die Hersteller ihre Produkte mit der UKCA-Kennzeichnung (UK Conformity Assessed) versehen, welche die CE-Marke ab dem 1. Juli 2023 für alle Medizinprodukte ersetzen wird. Ab dann entscheiden ausschließlich akkreditierte CAB, ob die Konformität gewährleistet und das Produkt mit einem UKCA-Kennzeichen versehen ist. Die Prüfungen der in der EU akkreditierten Stellen bleiben bis zum 30. Juni 2023 für den britischen Markt gültig.

Die MHRA setzt auf bewährte Verfahren

Die britische Regierung wird mit dem neuen Gesetz "Medicines and Medical Devices Bill" die MHRA als alleinige Regulierungsbehörde für die Zulassung von Medizinprodukten in Großbritannien festlegen. Diese hat sich in ihrem Leitfaden zur Regulierung von Medizinprodukten[1] für die Berücksichtigung von etablierten Standards im Einklang mit der globalen Harmonisierung ausgesprochen. Dabei sollen international angewendete Verfahren zur Gewährleistung der Patientensicherheit einbezogen und priorisiert werden[1]. Ganz konkret bezieht sich die MHRA in ihrem Leitfaden “Human Factors and Usability Engineering – Guidance for Medical Devices Including Drug-device Combination Products” auf die harmonisierte Norm IEC 62366-1:2015 für Usability[2].

Zwar wurde der Leitfaden bereits September 2017 veröffentlicht, doch dürfte der starke Bezug der Usability zur Konformitätsbewertung für die MHRA Grund genug sein, dass die darin verwendeten Verfahren auch weiterhin Bestand haben. Der Unterschied zwischen dem MHRA-Leitfaden und der IEC 62366-1:2015 ist überschaubar. Bei der Erstellung wurden einige Sichtweisen aus dem Leitfaden der FDA “Applying Human Factors and Usability Engineering to Medical Devices” adaptiert.

  • Der MHRA-Leitfaden fordert anders als die IEC 62366-1 eine summative Usability-Evaluation der Gebrauchsanweisung.
  • Weiterhin empfiehlt sie mindestens 15 Vertreter einer Benutzergruppe bei der Durchführung der Usability-Evaluation.
  • Für den Nachweis der Usability sollte ein eigener “Human Factors Summary Report” erstellt werden, der nochmal ein eigenes Format neben der Usability-Akte darstellt.
  • Besonderes Gewicht wird auf die Überprüfung der Usability im Zuge von erfassten Fehlern und Abweichungen in der nachgelagerten Phase der Marktüberwachung (PMS) gelegt. Ein vergleichbarer Ansatz wird auch in der ISO 13485:2016 gefordert.

Welche Auswirkungen hat dies und wie können Sie reagieren?

Sollte Großbritannien die bereits etablierten, internationalen Standards akzeptieren, besteht die Hoffnung, dass sich die grundlegenden Anforderungen nicht ändern. Da die MHRA die IEC 62366-1 für den Nachweis der Konformität akzeptieren wird, sind vorerst keine neuen Anforderungen an die Usability zu erwarten. Wir empfehlen daher, dass Sie als Hersteller weiterhin die etablierten Prinzipien und Methoden für die Gewährleistung der Usability entsprechend der IEC 62366-1 anwenden.

Sollten Sie Fragen zur Etablierung einer normen-konformen Usability haben, wenden Sie sich gerne an uns. Wir haben die Methoden des Design Thinkings, der Ideation, der Design Sprints, der Usability-Evaluation und der Dual-Track-Agilität in unsere Arbeitsweise integriert und wenden diese erfolgreich und normen-konform in unseren agilen Projekten an.

Weitere Informationen zum Thema

Ihr Kontakt zu uns

Sie haben Fragen rund um die regulatorischen Entwicklungen (bezüglich der MDR) oder konkret zum Zulassungsverfahren? Ich berate Sie gerne:

Tobias Klingenfuss, Senior Consultant Medical & Regulatory
+49 6221 8220 17
tobias.klingenfuss(at)twt-dh(dot)de

 

Über Tobias Klingenfuss

Der TWT-Experte ist Biologe und Spezialist für IT im Gesundheitswesen. Als Senior Consultant für die Entwicklung von Software als Medizinprodukt unterstützt er unsere Kunden – vom globalen Konzern über das mittelständische Unternehmen bis hin zum Start-up – bei der Planung und Implementierung eines regelkonformen Qualitätsmanagementsystems und berät zu den rechtlichen Aspekten der praktischen Umsetzung von Software als Medizinprodukt.